Einfach Kompliziert, Komplex

One-fits-all? Leider nein.

Die beste Organisationsform?
Die kann es nicht geben: weil Situationen, Umgebungen sich unterscheiden.

 
Wie unterscheiden sich Kontexte? 

Eine pragmatische Differenzierung geschieht nach einfach, kompliziert und komplex. Je nach Umfeld sind andere Organisations- und Führungsformen passender.

Einfache Arbeitskontexte

In einem Hotdog-Imbiss gibt es ein Handbuch mit genauen Anweisungen zur Herstellung von Hot-Dogs oder Hamburgern. Was es an junk food da eben so gibt. Mitarbeiter folgen den Anweisungen im Rezept, das Ergebnis ist ein Hotdog, einer wie der nächste. So soll das sein, genau so soll das sein.

Als Kunden erwarten wir nicht Variation sonden Replikation.

Einfache (Arbeits-)Kontexte können durch eine überschaubare Menge von Anweisungen strukturiert werden.

Kennzeichen einfacher Situationen:

  • einfache Replikation durch deterministische Rezepte
  • Inhaltsstoffe, Mengen, Arbeitsabläufe und das Ergebnis sind klar definiert
  • Es ist keine besondere Erfahrung erforderlich. So ziemlich jeder kann mit dem Rezept loslegen und das vordefinierte Ergebnis erreichen.
  • Allerdings: Erfahrung erhöht die Erfolgsquote

Auch in der Arbeit mit IT-Systemen gibt es viele deterministische Kontexte, bei denen diese Struktur hinreichend ist.

Zwei Beispiele:

In der Schadensbearbeitung einer Versicherung bestehen Kunden auf der regelhaften, nachvollziehbaren Abwicklung von Schäden. Es gibt klare und jedem bekannte Regeln in der Schadensregulierung und manchmal einen Ermessensspielraum in der Kulanz des Sachbearbeiters.

Behörden in ihrer zuverlässigen Nachvollziehbarkeit funktionieren strukturell wie Imbissbuden: verlässlich und ohne Variation.
 
Agile Organisationsprinzipien bringen bei definierten Prozessen ohne Abweichungen und bei geringer Flexibilität wenig Vorteile. Deterministische Planung ist dort effizient.

Komplizierte Umgebungen

Die Verkabelung eines größeren Flugzeuges ist kompliziert. Es dauert lange herauszufinden, wie alles verbunden ist. Würde man selbst diese Verkabelung lange genug untersuchen und re-engineeren, dann könnte man annähernd herausfinden, was jeder Schaltkreis bewirkt und wie man ihn steuert: das System ist letztlich verstehbar, der Aufwand vielleicht prohibitiv.

Kompliziert bedeutet: nicht einfach, aber letztlich beherrschbar.

Für eine komplizierte Aufgabenstellung gibt es letztlich eine beste Lösung.

Kennzeichen einer komplizierten Situation:

  • Es sind starre Protokolle oder Formeln erforderlich um Teilabschnitte kontrolliert beherrschen zu können.
  • Ist es einmal geschafft, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, den nächsten Teilabschnitt ebenso zu beherrschen.
  • Erfolg hängt von Blaupausen für verschiedene Bauteile und Beziehungen ab, die das vielfältige notwendige Wissen enthalten und richtig zusammengefügt werden müssen.

Komplizierte Kontexte können nicht mehr durch einen einfachen Satz von Anweisungen oder Rezepte erfasst werden. 

Zur Lösung komplizierter Probleme ist oft eine lange Ausbildung, tiefes Verständnis oder sogar ein ganzes Team von Fachexperten nötig.

Wenn es wichtig ist, genau zu verstehen wie etwas Kompliziertes funktioniert, dann lohnt der Aufwand für Recherche, Beobachtung und Studium, um etwa ein detailliertes Diagramm zu erstellen.

Ein Teamleiter ist gut beraten, vor einer wesentlichen Entscheidung Sicht und Rat des Teams oder einzelner Experten einzuholen. In komplizierten Umgebungen kann kaum einer alles wissen.

Je vernetzter die Zusammenhänge und Abhängigkeiten sind, je komplizierter die Randbedingungen — desto größer das Risiko, etwas Wichtiges ausser Acht lassen und verhängnisvolle Fehler zu machen.

In komplizierten Kontexten ist die angemessene Führungsmethode damit nicht Befehl und Gehorsam sondern ein kooperativer Stil, im dem Wissen und Sichten der Mitarbeitenden gehört werden und sie mit ihrer fachlichen Expertise und Erfahrung Einfluss nehmen können.

Komplexe Systeme

In einem Beispiel für komplexe Systeme sitzen Besatzung und Passagiere im Flugzeug und versuchen vorherzusagen, was während des Fluges passieren wird.

Plötzlich wird durch einen technischen Fehler aus einer komplizierten eine komplexe Situation. Selbst wenn man das bisherige Verhalten aller Beteiligten analysiert hätte: wie Menschen in einer komplexen Situation interagieren, ist nicht vorhersagbar. Man kann Vermutungen anstellen, doch kaum Sicherheit erreichen: es gibt zu viele Variablen und dem Laien bleibt ihr Zusammenhang  weitgehend unklar.

Komplex heißt: nicht planbar und wenn überhaupt, dann erst im Nachhinein verstehbar.

Kennzeichen komplexer Situationen:

  • Starre Protokolle sind kontraproduktiv oder nur bedingt anwendbar.
  • Bestandteile sind nicht vom Ganzen zu unterscheiden: Beziehungen und Erfahrungen unterscheiden sich zu verschiedenen Momenten.

Beispiel: Kindererziehung

  • Die Erziehung eines ersten Kindes bringt Erfahrung, aber kein garantiert wirksames Modell für das nächste Kind.
  • Erfahrung hilft — doch nur, wenn sie die Individualität des nächsten Kindes einbezieht und variiert.
  • Unsicherheit über das Ergebnis bleibt: Erziehungserfolg hängt von vielen Faktoren ab und nicht alle kontrollieren Eltern.

Es gibt keine Garantie dafür, dass eine Aktion, die in einem Kontext richtig ist, auch morgen zu gleichen Ergebnissen führt.

Komplexität heisst auch, dass man nie für alle Eventualitäten vorausplanen kann. Es sind ständig von allen Beteiligten Entscheidungen unter Risiko oder Unsicherheit gefordert. Es kann kein Handbuch geben, das zu befolgen ist.

Es reicht in komplexen Situationen auch nicht aus, wenn Mitarbeitende beraten und ein Teamleiter entscheidet. Das würde einen Teamleiter sofort zu einem hoffnungslosen Flaschenhals für Informationen und Entscheidungen machen. Jedes Teammitglied muss stattdessen Initiative ergreifen, den anderen helfen und ständig Entscheidungen treffen und sie kommunizieren.

Damit es überhaupt eine gemeinsame Ausrichtung gibt, sind gemeinsame Werte, Prinzipien, Ziele und Strategien nötig. Erst dieses alignment ermöglichst die Autonomie von Teams und einzelnen Personen.

In komplexen Situationen findet ein selbstorganisiertes Team gemeinsame Lösungen besser als Einzelne.

Reflexionsfragen

  • Können Sie aus Ihrer Lebens- oder Berufserfahrung einen Fall beschreiben, den Sie auf der Grenze zwischen kompliziert und komplex verorten würden?
  • Was genau machte diese Situation ‘mehr als kompliziert’ … und woran konnten Sie das festmachen?